Hilfe von Geflüchteten annehmen
María do Mar Castro Varela: „Das Leiden ‚Anderer‘ betrachten.“
Flucht, Solidarität und Postkoloniale Soziale Arbeit.
Vortrag auf dem 39. Sozialpädagogiktag 2015 der Universität Tübingen:
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Den Blick wenden, die Hilfe annehmen, die uns von Geflüchteten angeboten wird, affirmative Sabotage betreiben.
María do Mar Castro Varela schlägt keine Lösungen vor, weil wir in einer Situation sind, in der das nicht der Punkt ist. Sie mutet uns zu, nachzufragen: was ist eigentlich bisher schief gelaufen? In welchem Kontext arbeiten wir? Mit welche inneren Widerspüchen müssen wir umgehen. Zum Beispiel die Konzepte von „Mensch“ – welche waren bei den Verkündungen von „Menschenrechte“ wirkmächtig? wer war als Mensch mitgedacht war und wer nicht? Oder welche Auswirkungen hat der Kolonialismus auf die aktuelle Situation? Diese inneren Widersprüche können wir nicht auflösen, doch wenn wir sie sichtbar machen und benennen, dann können wir eine neue, offene, experimentelle soziale Arbeit denken.
Der Vortrag inspiriert den Blick auf die eigenen Situation zu wenden, z.B. auf die problematische Verwobenheit von „Helfen“ und „Macht“ oder auf die Wirkungen, die die medialen Bilder auf uns haben. Und dass wir, um all das wissend, sehr wohl helfen müssen. Mit einer Haltung von “affirmativer Sabotage” können wir die aktuelle Überforderung schätzen, weil sie zum Beispiel politische Nervenzellen reaktiviert in einer konsumübersättigten Gesellschaft. Wir brauchen Dekolonisierung und es ist Zeit, die Hilfe anzunehmen, die uns von Geflüchteten angeboten wird.
Prof. Dr. Paul Mecheril Erziehungswissenschaftler/Rat für Migration:
auf dem Neujahrsempfang in Bremen:
„Wir verzeihen den Flüchtlingen nicht, dass sie leiden und uns mit ihrem Leid in den gut eingerichteten Vierteln unseres Wohlstands im wahrsten Sinne zu Leibe rücken. Deshalb müssen sie dämonisiert, herabgewürdigt und letztlich entmenschlicht werden.“
Paul Mecheril fragt sich, woher der rassistische Affekt des Jahresanfangs kommt. „Wir sind gegenwärtig einmal mehr Zeitzeuginnen der gewaltvollen Selbstsakralisierung Europas. (…) Europa (…) inszeniert sich unter Ausblendung oder sagen wir lieber im Spiegel der 30.000 Toten im Mittelmeer, die dort ihr Leben als direkte Folge Europäischer Grenzpolitik verloren haben, als Ort des auserwählten Guten, der Werte, als Hort der Geschlechteregalität, zynischer Weise der Menschenrechte und im Lichte und Spiegel einer ausgeprägten und zunehmenden sozialen Ungleichheit doppelzüngig als Raum der Gerechtigkeit. Für diese Inszenierung brauchen wir die Anderen, ihre Hässlichkeit, ihre Gefährlichkeit, ihre Unzivilisiertheit.“
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Gute Zeiten – Schlechte Zeiten. „Flüchtlingskrise“, Deutsche Willkommenskultur und die Ereignisse von Köln, 2/16