„Menschenrechte sind, wie empowerment, auch voll Bombe. Verstehst du, Kollega? Wenn wir sie ernst nehmen würden, egal welches Geschlecht, welche Religion oder sexuelle Ausrichtung jemand hat, wenn die Menschenrechte ausnahmslos für alle auf der Welt gelten würden: Wow, das wäre total cool. Ich schwöre, das würde sich für alle lohnen.“ (Idil Baydar)

Für wen gelten die Menschenrechte – über eurozentrische Wurzeln der Aufklärung
–  oder wer galt eigentlich als „Mensch“, als 1776 in USA und 1789 in Frankreich Menschenrechte proklamiert wurden – und wer nicht? Am Wahlrecht lässt sich exemplarisch verfolgen, wem Rechte versagt werden. Rechte, die nicht alle haben sind Privilegien. Wem wurde damals das Wahlrecht versagt? Wem wird heute das Wahlrecht versagt?

Es ist nötig und verunsichernd einen kritischen Blick auf unser Selbstbild als aufgeklärte Menschen zu werfen, weil Rassismus „auch im aufgeklärten Denken zu Hause ist, (…) im abendländischen Denken universal ist“ . Wenn wir verstehen, wie perfide Menschen, die hier als Aufklärer verehrt werden, gleichzeitig für Menschenrechte kämpfen (nur ihre eigenen) und koloniale Expansion rechtfertigen – bekommen wir eine Ahnung wie tief verinnerlicht Rassismus und white supremacy ist.

Wer wurde in den USA 1776 ausgeschlossen – wer gehörte dazu, zu dem „alle Menschen“, die gleich geschaffen und mit  unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind? Europäische Siedler forderten für sich Leben, Freiheit und Glück. Und töteten und vertrieben die Menschen von dem Land, das sie mit Gewalt und Betrug kolonisierten. Wie verarbeiteten sie diesen Widerspruch?

Rechte werden nicht gegeben, sie werden erkämpft

Menschen leisten Widerstand gegen diese Ungerechtigkeit. In den USA wurde 1865 die Abschaffung der Versklavung erreicht, 1870 das Wahlrecht für einzelne Schwarze, 1919 das Wahlrecht für Frauen, 1924 das für Angehörige der first nations, 1965 das allgemeine Wahlrecht für Schwarze. Nicht wählen dürfen heute Menschen unter 18 und Vorbestrafte – 25% der männlichen Schwarzen Bevölkerung.

Interessant ist, dass die USA den 13. Zusatzartikel brauchten, um Versklavung zu verbieten. War es davor erlaubt? In der USA-Verfassung hieß es von Anfang an, dass ALLE Menschen gleich geschaffen und mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind. Was braucht es mehr? Statt die implizite weiße und männliche Überheblichkeit zu demaskieren wurden Zusatzartikel ergänzt. Wollten sie damit sagen: Oh, wir, die Privilegierten, müssen jetzt akzeptieren, dass Schwarze auch zum ALLE Menschen dazugehören? Dass Frauen auch ALLE Menschen sind?

Übrigens: Auf den Widerspruch dass die „Rechte der Menschen“ nur für Männer galten (sogenannte „mündige Bürger“ – nur weiße bürgerliche Männer -) verwies Olymp de Gouges in Frankreich schon 1791. Aus ihrer Perspektive formuliert Olymp de Gouges einen anderen Freiheitsbegriff. Statt: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet.“ heißt es bei ihr in Artikel IV: „Freiheit und Gerechtigkeit besteht darin, den anderen zurückzugeben, was ihnen zusteht.“ Eine Formulierung, die um bestehende Ungleichheiten weiss. Wenig ist bekannt über die Verfassungsrichterin Erna Scheffler, die in der BRD für gleiche Rechte stritt.

Diese Beispiele verdeutlichen, wie wichtig Rassenkonstruktionen, Genderkonstruktionen, Klassenkonstruktionen etc. sind für das Vorenthalten von Grundrechten und die Aufrechterhaltung von Herrschaft in einer vom Anspruch her demokratischen Gesellschaft.

mehr zu „westliche Werte“

interessante Texte dazu im www:

Der verschwiegene Rassismus der Philosophen. Luther, Kant, Heidegger – die Liste der rassistischen und antisemitischen Philosophen ist erschreckend lang. Ebenso erschreckend ist, dass der Rassismus der Denker noch immer totgeschwiegen wird, Von Patrik Spät, 2014.

Wie Robinson war, soll Emile werden. Über Aufklärung, Rassismus und Erziehung, von Manfred Kappeler im Columbusjahr 1992,  sowie Kappeler, M. (1987): Zur Geschichte von Ausgrenzung und Herrschaft am Beispiel von Kindheits- und Jugendbildern bei Rousseau und Kant, in: Liebel/ Schwing: Ist die Zukunft schon verbraucht? Berlin.

Wenn Rassismus aus Worten spricht. Zum machtvollen Zusammenwirken von Sprache und Diskriminierung, von Susan Arndt, S.14 ff, 2014. Zur Entstehung des modernen Rassismus im Kolonialismus.
und: Wie Rassismus aus Wörtern spricht,  Arndt/ Ofuatey-Alazard (Hg) 2011 Stichwort „Aufklärung“ u.v.a.m.

Der Kampf ist nicht vorbei: Wie macht man einem Kind klar, in welche feindselige Welt man es gesetzt hat und wie man darin „in einem schwarzen Körper leben soll“? Wie balanciert man den Wunsch, das Kind möge frei aufwachsen, gegen die Sorge aus, es könnte seine Risiken unterschätzen? 2016

María do Mar Castro Varela: „Das Leiden ‚Anderer‘ betrachten.“
Den Blick wenden auf die inneren Widersprüche, die Hilfe annehmen, die uns von Geflüchteten angeboten wird, Zusammenhänge verstehen und affirmative Sabotage betreiben. 2015

Montesquieu, 1748 zum Kern von Rassismus: „Weil die Völker Europas diejenigen Amerikas ausgerottet haben, müssen sie die Afrikaner versklaven… Der Zucker wäre auch viel zu teuer, wenn man den Zuckerrohranbau nicht von Sklaven durchführen ließe.“ AfrikanerInnen wurden nicht versklavt, weil sie schwarz sind, sondern weil Sklavinnen gebraucht wurden. Um den Menschen ganz und gar zum Ding zu machen, bedarf es einer besonderen Legitimation, weshalb es in der Blütezeit des europäischen Sklavenhandels ausschweifende Diskussionen darüber gab, ob schwarze Sklavinnen nicht doch 1/16 oder 1/32 Seele besäßen. Montesquieu weiter: „Man kann unmöglich annehmen, daß diese Leute Menschen sind, denn sonst könnte man auf den Gedanken kommen, daß wir keine Christen sind.“ (aus dem Editorial der ila Nr. 155, „1492-1992 Schwarze Kultur – Schwarzer Widerstand)

Oder Kant, der offen rassistisch schreibt:  „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben I. haben schon ein geringeres Talent. Die N. sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften. […] Die N. von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege.“
M.Fierla untersucht Kants Thesen (S.12): „Diese deutet darauf hin, dass Kant sich eine Haltung zu eigen machte, die für die Produktion (und Konsumierung) erschwinglicher Kolonialwaren wie Zucker eintrat, und dabei wusste, das dies nur zu den Bedingungen der brutalen Sklavenwirtschaft möglich war, wobei er sich zugleich von der sehr genau erkannten Schuld, bzw. Mitschuld an diesem Unrechtssystem – als Konsument oder Produzent – freisprechen wollte. Die ‚Lösung‘ sah dann folgendermaßen aus: Entweder man war selbst moralisch verworfen und kein Christen-Mensch, oder die Afrikaner waren keine Menschen und ihre Versklavung überhaupt nicht als Verbrechen zu betrachten.“

oder in den Worten von Susan Arndt (S.17): „Doch zurück zur Frage, warum die Europäer „Rassen“ erfanden: Genozid und Verschleppung, Raub an Leben, Land und Reichtümern – all dies widersprach den Grundprinzipien von Humanismus bis Aufklärung, also Freiheit und Demokratie, Gerechtigkeit und Gleichheit, Menschenrechten und -würde. Genau genommen war dies auch nach damaligen Kriterien ›böse‹ – es sei denn, ja, und das ist die perfide Grundlogik des Rassismus, bei den Kolonisierten und Versklavten handele es sich gar nicht um Menschen”.

Was auffällt:  „während im Diskurs der Aufklärer „Sklaverei“ die große Metapher ist, der das Ziel der Freiheit entgegengestellt wird, taucht die ganz reale millionenfache Versklavung, auf der die Ökonomie der damaligen Zeit beruhte, an keiner Stelle auf. Dieser selbstgefällige Freiheitsdiskurs wird von der 1791 einsetzenden Revolution in der französischen Kolonie St. Domingue, dem wirtschaftlich bedeutendsten Außenposten Frankreichs, nachhaltig erschüttert.