Die interaktive Ausstellung Deutschland*Ein*Wanderungsland wurde grundlegend überarbeitet, sie ist jetzt mit einer eigenen Homepage am Start!

Wanderungsgeschichte der Banane

 

 

 

 

 

 

Die interaktive Ausstellung Deutschland*Ein*Wanderungsland thematisiert große, globale Zusammenhänge in kleinen alltäglichen Beispielen auf das Alter von Grundschulkindern angepasst. Dadurch stärkt die Ausstellung das Gefühl und das Wissen, dass Entwicklungen auf dieser ‘Einen Welt’ tatsächlich zusammenhängen. Alle Kinder erarbeiten sich Wissen über (Wanderungs-)Geschichte(n) und ihre Zusammenhänge: Wie sich kulturelle Errungenschaften im Miteinander entwickelten, wie der Reichtum Europas durch koloniale Eroberungen entstand, wie die koloniale Geschichte unseren Alltag bis heute prägt. Alle können damit vorbereitet werden auf das Leben in der globalisierten Welt mit ihren facettenreichen transkulturellen Identitäten und ihren vielfältigen Lebensentwürfen.

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Wie Deutschland*Ein*Wanderungsland reifte

Die nun konzeptionell überarbeitete interaktive Ausstellung hat eine längere Geschichte.

Für mich begann sie 1989 mit einer verhängten Tür auf dem Kirchentag in Berlin, „du doitsch?“ stand darüber, eine Deutschlandfahne verhinderte die Sicht. Es war „Markt der Möglichkeiten“ auf dem Kirchentag in Berlin. Neugierig trat ich ein, dahinter war ein Labyrinth:

Im ersten Raum sollte ich mir eine neue Identität verschaffen: In einem alten Kirchenbuch erfuhr ich, dass die Familie meiner Person als Hugenott_innen aus Frankreich eingewandert war. Ich hatte also wohl einen Migrationshintergrund.

Danach sollte ich einen deutschen Satz bilden – und erfuhr, wie die Wörter „Mauer“, „Tomate“ und „Matratze“ ihren Weg nach Deutschland gefunden hatten. In der Mitte saß ein strenger Beamter, nur wenn ich eine Aufgabe korrekt gelöst hatte, bekam ich einen Stempel in meinen Pass. Eine andere Aufgabe war die Zusammenstellung eines „deutschen“ Essens – sie führte mich zu Wanderungsgeschichten von Linsen, Bohnen, Kartoffeln und Spinat. Im nächsten Bereich lernte ich, wie international die Familiengeschichten berühmter Menschen in Deutschland waren und musste in einem abschließenden Quiz erkennen, wie wenig ich über rechtsnationales Gedankengut weiß, doch wie weit verbreitet rassistische Aussagen in meiner Gesellschaft sind.

Konzipiert wurde diese Aktion noch vor den mörderischen Anschlägen von Mölln 1991, Rostock-Lichtenhagen, 1992 und Solingen 1993 von Menschen, die in der sogenannten „Ausländerarbeit“ engagiert waren. Geplant als Intervention in damalige Integrationsdiskurse und die Ausgrenzung von Menschen, die zu „Ausländern“ gemacht wurden, wollten sie „in spielerischer Form die Auseinandersetzung mit diesem schwierigen, emotional aufgeladenen und oft auch sehr bedrückenden Problemfeld ermöglichen“. Dokumentiert wurden die Materialien in der Publik Forum Materialmappe „du doitsch?“

2003 Intervention in Diskurse von Leitkultur

In informellen Bildungssituationen Alltagsrassismus zum Thema machen, diese Idee griff ich auf und entwickelte sie weiter als seit 2000 die Debatte über eine deutschen „Leitkultur“ begann. Damals leitete ich mit Virginia Alvear Galindo für FiPP e.V. das Projekt „Eine Welt im FEZ“. Wütend darüber, dass ausgerechnet mit Diskursen über eine „demokratische Leitkultur“ undemokratische Praktiken wie Verweigerung von Bürgerrechten für Menschen ohne deutschen Pass weiter legitimiert wurden, wollten ich mich einmischen – kreativ und niedrigschwellig. Längst war das Recht auf Asyl mit der Konstruktion „sicherer Drittstaaten“ faktisch abgeschafft (1993), noch waren die Morde der NSU kein Thema in der bundesdeutschen Öffentlichkeit (die Selbstenttarnung war 2011).

Was konnten wir in der Familienfreizeitstätte FEZ Wuhlheide diesem gefährlichen Diskurs entgegensetzen, der so tat, als ob „deutsche Kultur“ etwas Besseres wäre, als ob Deutschland Demokratie und Menschenrechte schon verwirklicht hätte; als ob man „die Deutschen“ von „den Ausländer_innen“ überhaupt unterscheiden und trennen könnte; als ob es etwas Einheitliches gäbe, an die „die Ausländer_innen“ sich anpassen könnten, entsteht doch dieses „wir“ erst in der Abgrenzung, im Reden über „die Anderen“. Nora Räthzel arbeitete dies in „Gegenbilder – Nationale Identitäten durch Konstruktion des Anderen“ 1997 heraus: so etwas wie „deutsch“ ist diskursiv und real immer in sich widersprüchlich, äußerst situativ und dynamisch.

Eine Arbeitsgruppe im FEZ leitend, konzipierten ich für FiPP e.V. Projekttage für Schulklassen und ein großes Wochenende für Familien um den 3. Oktober 2003. Besucher_innen konnten sich durch viele Stationen hindurch mit verschiedenen Aspekten von deutschen Identitäten und Realitäten in Deutschland auseinandersetzen. Dokumentiert ist das Wochenende in der Broschüre „Endlich wieder politische Bildungsarbeit im FEZ“. Wertvolle Zeitdokumente finden sich in der umfangreichen Handreichung „Auf den Spuren unserer Identität“ mit Zeitungsausschnitten, Handlungsansätzen und Hintergrundartikeln für das Projekt.

Mit vielen kleinen Schritten ging es weiter. Über drei Monate beschäftigten sich Kinder der „AG Eine Welt“ der Hunsrück Grundschule in Berlin Kreuzberg 2007 intensiv mit Wanderungsgeschichten – angeleitet von Icra Amad Ibrahim und mir, unter dem Dach von ASET e.V. Beim Berliner Entwicklungspolitischen Bildungsprogramm 2007 (benbi) von KATE e.V. “Kulturen in Bewegung” beteiligte sich ASET e.V. mit Migrationsgeschichten. Für diesen Beitrag erstellte ich ein neues Konzept, recherchierte Wanderungsgeschichten von zahlreichen Lebensmitteln und Wörtern, brachte diese Infos auf lesefreundlich auf Weltkarten, die zur Grundlage eines Quiz‘ wurden. Wir veröffentlichten die Materialien in der „Lernmappe mit CD“ (ASET e.V., 2009).

Große Projektwochen führten wir 2011 und 2013 durch: 2011 forschten unter dem Titel „Deutschland*Ein*Wanderungsland – Gut, dass wir alle hier sind“ die altersübergreifenden 4/5/6er Klassen an der Nürtingen Grundschule in Berlin Kreuzberg in Projektwochen zu Wanderungsgeschichten unter aktiver Beteiligung einiger Eltern. 2013 lernten Kinder der Clara Grunwald-Grundschule in Berlin Kreuzberg „Deutschland*Ein*Wanderungsland“.

Das von der EU finanzierte Projekt „Global Fairness“ (und weiterhin sehr viel ehrenamtliches Engagement) ermöglichte es Beate Flechtker, Patricia Göthe und mir, diese vielfältigen Erfahrungen auszuwerten und die hier vorliegenden Materialien zu erstellen.

Dazu haben wir die Ausstellung vor dem Hintergrund aktueller migrationspolitischer und rassismuskritischer Debatten konzeptionell überarbeitet. Es wurde z.B. statt der Suche nach einem „Ursprung“ der Fokus auf vielfältige Wanderungen gelegt und die Station „da stimmt doch was nicht“ neu konzipiert, um Irritationen aufzufangen.

Für die Mitwirkung und wichtige Beiträge danke ich: Beate Flechtker, Gisela Führing, Patricia Göthe, Barbara Habig, Jetti Hahn, Icra Amad Ibrahim, Nele Kontzi, Gabriele Lattke, Mariana Lo Sasso u.v.a.

 

Literatur:

ASET e.V. (2009): .„Lernmappe mit CD“

Clemens, Karin und Dieter Albert (Hg.) (1991): „du doitsch?“, Materialien zu Rechtsextremismus, Kolonialismus, Rassismus, Nationalismus und der Vielfalt deutscher Kultur, Publik Forum Materialmappe, Oberursel 1991

Eine Welt im FEZ, Hg. (2003): „Endlich wieder politische Bildungsarbeit im FEZ”, Die Deutschen und ihre Leitkultur, ein Projekt im FEZ 2003

Kübler, Annette (2003): Auf den Spuren unserer Identität – Entwicklungsland Deutschland. Arbeitsmaterialien zu den Projekttagen im FEZ 2003

Räthzel, Nora (2009): „Gegenbilder – Nationale Identitäten durch Konstruktion des Anderen“, Opladen, Westdeutscher Verlag

Links:

Deutschland*Ein*Wanderungsland 2011 in der Nürtingen Grundschule

Deutschland*Ein*Wanderungsland ab 2003

Materialien zu Wanderungsgeschichten von Wörtern und Lebensmitteln in der ASET Lernmappe 2009

Deutschland*Ein*Wanderungsland 2013 in der Clara Grundwald Grundschule