von Maria do Mar Castro Varela 11/15
(…) Das imperialistische Subjekt, feiert sich selbst, gerade in dem Moment, in dem es gebraucht wird, indem es hilft, in dem es sich scheinbar von seiner besten Seite zeigt: Wir sind human, wir sind menschlich, wir sind Europa. Darüber möchte ich sprechen und die Soziale Arbeit gleichsam dekonstruieren und einer Kritik gerade zu einem Zeitpunkt zuführen, an dem viele Menschen in Europa denken, dass sie die edelste und würdevollste Seite europäischer Werte repräsentiert. Über diese angeblich so wunderbaren humanistischen europäischen Werte sollten wir sprechen. (…)
(…) Es ermüdet, Europa immer wieder als das „Land des Humanismus“ porträtiert zu sehen, dem diskussionslos Werte und Ideen wie „Emanzipation“, „Gleichberechtigung“ und „Freiheit“ zugeschrieben werden: denn wir wissen, dass diese Werte und Ideen, so positiv und wichtig sie auch sein mögen, nie für alle gegolten haben. Weder Freiheit, noch Emanzipation, noch Gleichheit. Lassen Sie mich das an einem starken Beispiel erläutern: Die Proklamierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. (…) Und so sehen wir am besagten 10. Dezember 1948 Eleonore Roosevelt, die die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) hochhält und wir lesen den ersten Artikel „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Die Proklamation aber findet in New York statt. 1948. In einem Land, in dem die weltberühmte afro-amerikanische Jazzsängerin Billie Holiday nicht neben mir hätte sitzen dürfte, weil sie schwarz ist und ich weiß. In einer Stadt, die durchzogen ist von rassistischer Gewalt hebt jemand ein Papier hoch und proklamiert: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Es ist dieses Bild, welches uns darin erinnert, dass wir ein anderes, ein hässliches Foto daneben setzen müsste, um ein ganzheitliches Bild zu erhalten. Die vermeintliche universelle Aussage der Menschenrechte hat eben nie für alle Gültigkeit gehabt. Wir müssen diesen Widerspruch nicht nur aushalten, sondern bearbeiten; zum Ausgangspunkt unserer Reflexionen machen. Darin impliziert ist die wichtige Frage, wer überhaupt als Mensch gilt, wenn die universellen Menschenrechte nicht für alle gelten. Wären alle Menschen gleich, dann müssen wir uns fragen: was ist gemeint mit der Idee von Mensch? „Mensch“, so werden wir feststellen, ist eine Konzeption und hat nie alle beinhaltet, die uns menschlich erscheinen. Das weist darauf hin, dass wir eine Erinnerungspolitik wagen müssen, die gewissermaßen, die andere Seite Europas zeigt, die Schattenseite Europas. Wir müssen darüber nachdenken, warum bestimmte Menschen nie als „Menschen“ gedacht wurden und was es bedeutet – wie Kobena Mercer gesagt hat: „We are here because you were there“. Sodass die Frage nach dem, warum die Menschen nach Europa kommen, leichter beantwortet werden kann. Nicht wegen der „europäischen Werte“, dem Sozialsystem, dem Rechtsstaat, sondern schlicht und ergreifend, weil Europa die Lebensgrundlagen in den ehemaligen Kolonien zerstört hat – weil Europa da war! (…)
Quelle: Vortrag „Das Leiden ‚Anderer‘ betrachten. Flucht, Solidarität und Postkoloniale Soziale Arbeit“ von Maria do Mar Castro Varela
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* Der intellektuelle Kopf der NAACP, W.E.B. Du Bois, legte 1947 eine Denkschrift über die „Verweigerung der Menschenrechte der schwarzen Minderheit in den USA“ als „Appell an die Vereinten Nationen um Abhilfe“ vor, in der er umfassend alle Aspekte der Diskriminierung bloßlegte. (link hier)
* Auf den Widerspruch dass die „Rechte der Menschen“ nur für Männer galten (sogenannte „mündige Bürger“) verwies Olymp de Gouges in Frankreich 1791. Die Rechte galten darüberhinaus nur für weiße, bürgerliche Männer. Aus ihrer ausgegrenzten Perspektive formuliert Olymp de Gouges auch einen anderen Freiheitsbegriff. Statt: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet.“ heißt es bei ihr in Artikel IV: „Freiheit und Gerechtigkeit besteht darin, den anderen zurückzugeben, was ihnen zusteht.“ Eine Formulierung, die um bestehende Ungleichheiten weiss.
* Gümüşay: Was wir auf jeden Fall tun müssen ist, tatsächlich einander Werte beibringen. Deshalb finde ich grundsätzlich es nicht schlimm, dass wir jetzt diese Frage diskutieren, wie können wir Menschen, die neu in unsere Gesellschaft dazukommen, unsere Werte beibringen. Was ich aber schwierig dabei finde und das ist genau das Problem: Wir tun das mit einer gewissen Arroganz, so als hätten wir selber unsere Werte bereits erreicht, was de facto einfach nicht stimmt. Wenn wir uns die Vergewaltigungszahlen anschauen, die vielen Sexismus-Debatten, die wir in den vergangenen Jahren geführt haben, da gibt es sehr große Probleme, die wir auch in unserer Gesellschaft haben.
* „Menschenrechte sind, wie empowerment, auch voll Bombe. Verstehst du, Kollega? Wenn wir sie ernst nehmen würden, egal welches Geschlecht, welche Religion oder sexuelle Ausrichtung jemand hat, wenn die Menschenrechte ausnahmslos für alle auf der Welt gelten würden: Wow, das wäre total cool. Ich schwöre, das würde sich für alle lohnen.“ (Idil Baydar)